Das hier kurz vorgestellte und von der Gesellschaft zur Förderung der Archäologie in Ostwestfalen e. V. finanziell unterstützte Forschungsprojekt zielt auf die Erarbeitung erster tragfähiger Erkenntnisse zu den menschlichen Knochenfunden aus dem Großsteingrab “Wewelsburg I” ab. Durchgeführt wird es bis Ende 2020 von Dr. Christian Meyer, Leiter von OsteoARC – OsteoArchaeological Research Centre, der bereits Knochenfunde von zahlreichen neolithischen Bestattungsplätzen untersucht hat.
Das Grab wurde bereits in den Jahren 1986 und 1987 im Rahmen einer archäologischen Notmaßnahme unter Leitung von Martina Viets und Dr. Klaus Günther vom damaligen Westfälischen Amt für Bodendenkmalpflege ausgegraben, nachdem es durch Baggerarbeiten teilweise zerstört worden war. Mit Unterstützung durch den Anthropologen Dr. Alfred Czarnetzki und eine Reihe von Studenten wurde damals eine große Menge an menschlichen Skelettresten geborgen, die allerdings bis heute zum größten Teil unbearbeitet und unpubliziert blieben. Bei den Knochenfunden handelt es sich um die Reste von Bestattungen, die über einen längeren Zeitraum im Megalithgrab deponiert worden waren. Nach Auskunft der archäologischen Publikation zum Fundort ist während der Ausgrabungen aber nur noch die unterste Bestattungsschicht teilweise ungestört angetroffen worden. Ein großer Teil des Grabes war bereits älteren Störungen und Altgrabungen des 19. Jahrhunderts zum Opfer gefallen. Von einer vermuteten oberen Bestattungslage, die von der unteren durch ein in Resten erkanntes Steinpflaster getrennt gewesen sein könnte, sind keine sicheren Reste erhalten.
Trotz dieser Fundumstände bietet das Megalithgrab Wewelsburg I eine herausragende Quelle für anthropologische bzw. osteoarchäologische Forschungen zum westfälischen Neolithikum, da bereits während der Grabungen mindestens 85 Individuen gezählt werden konnten. Dabei basierte diese Schätzung bisher vor allem auf den vor Ort erkannten isolierten Schädelresten, da kaum noch Skelettteile im anatomischen Verband angetroffen worden sind. Wie bei Kollektivgräbern sehr häufig zu beobachten, sind die enthaltenen Knochen über die Zeiten stark verlagert, massiv fragmentiert und eben zum Teil auch durch spätere Eingriffe aus dem Grabkontext entfernt worden. Der Fundzustand, der auch weitgehend noch den Zustand zu Beginn der neuen osteologischen Untersuchung bildet, ist somit der eines großen, ungeordneten und nahezu vollständig durchmischten Knochenkonvoluts.
Der erste Schritt zur wissenschaftlichen Untersuchung der Skelettfunde war daher zunächst die neue Schätzung einer Mindestindividuenzahl anhand geeigneter Skelettelemente. Da sich der größte Teil der Knochen noch im ungereinigten, stark mit Sediment vermischten Fundzustand befindet, wurde hier bei einer ersten Gesamtdurchsicht auf stabile, leicht zu erkennende anatomische Elemente geachtet. Dabei wurde zunächst der Gelenkkopf des Oberschenkelknochens als geeignet angesehen, da dieser auch bei stark fragmentierten, aber in der Substanz gut erhaltenen, Skelettresten oft noch leicht erkennbar bleibt. Die im Auftrag der LWL-Archäologie für Westfalen und in Kooperation mit der Altertumskommission für Westfalen durchgeführte, erste Sichtung ergab bereits eine Zahl von mindestens 120 Individuen, die im Kollektivgrab repräsentiert sind, also deutlich mehr als bisher vermutet. Durch die Zählung weiterer geeigneter Knochenelemente könnte sich dieser Wert im Laufe der Untersuchungen aber noch deutlich erhöhen.
Während der Sichtung des gesamten Knochenkonvoluts wurde zudem eine Auswahl getroffen, welche Knochenfunde innerhalb der geplanten Untersuchungen durch Dr. Christian Meyer genauer betrachtet werden sollen. Dabei wurden alle erkennbaren Schädelfragmente inkl. Kiefer und Zähne ausgewählt sowie alle weiteren Knochen mit auffälligen Besonderheiten, die während der Sichtung ins Auge sprangen. Dabei handelte es sich überwiegend um pathologische Erscheinungen, wie etwa Knochenbrüche oder massiven Gelenkverschleiß. Zudem wurden noch mehr als 500 tierische Reste aus den menschlichen Knochen aussortiert, die ebenfalls untersucht und bestimmt werden sollen. Es ist bereits abzusehen, dass diese Funde die bereits 1992 von Dr. Karlheinz Steppan in der Grabungsmonographie publizierten ersten Ergebnisse zu Tierknochen, Tierzähnen und daraus hergestellten Artefakten signifikant ergänzen werden.
Im Fokus der Untersuchungen von Dr. Meyer werden aber vor allem die nunmehr gereinigten etwa 15.000 menschlichen Schädelfragmente und die etwa 4.000 menschlichen Zähne stehen. Diese sollen zum einen der weiteren Präzisierung der Mindestindividuenzahl dienen, zum anderen sollen aber auch einige Details zum Leben und Sterben der im Kollektivgrab Wewelsburg I bestatteten Menschen herausgearbeitet werden. Einige Fälle von geheilten Schädelverletzungen lassen hier bereits sehr interessante Ergebnisse erwarten. Zudem soll eine Grundlage für weiterführende bioarchäologische und bioarchäometrische Studien gelegt werden. (CM)
Literatur:
Klaus Günther/Martina Viets, Die Megalithgräber Henglarn I und Wewelsburg I im Paderborner Land. Bodenaltertümer Westfalens 28. Münster 1992.