Laudatio am 9.12.2008 anlässlich der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft von Dr. Johann-Sebastian Kühlborn im Verein für Altertumskunde und Heimatpflege Haltern e.V.   Download

Am 1. Oktober 2008 ging Dr. Johann-Sebastian Kühlborn, der Leiter des Provinzialrömischen Referats der LWL-Archäologie für Westfalen (Münster), in den wohlverdienten Ruhestand. Der Verein für Altertumskunde und Heimatpflege Haltern bat mich aus diesem Anlass, zum diesjährigen Winckelmanntag eine Laudatio auf ihn zu halten. Diese ehrenvolle Aufgabe erfülle ich gerne.

Johann-Sebastian Kühlborn wurde 1943 in Berlin in eine düstere Zeit hineingeboren – eine Zeit, in der das Land und die Menschen von Zerstörung, Angst, Elend und Hoffnungslosigkeit gezeichnet waren. Die Flucht vor den Bomben führte die Familie über München nach Frankfurt a. M., wo er nach dem Krieg heranwuchs. Als junger Mann widmete er sich dem Studium der Klassischen Archäologie, der Griechischen Philologie und der Alten Geschichte an den Universitäten Frankfurt, Heidelberg und München. Mit ihren Grundideen des Schönen, Vollkommenen und Idealen könnte die Klassik keinen drastischeren Gegensatz zur historischen Situation in den ersten Lebensjahren von Johann-Sebastian Kühlborn bilden. Während seines Studiums zog es ihn auf in- und ausländische Grabungen. In zahlreichen Anekdoten schwärmt er bis heute von dem denkwürdigen Aufenthalt in Milet.

Nach seiner Promotion über die kyprischen Grabreliefs im Jahr 1975 führte ihn sein beruflicher Werdegang von der Goethe-Universität in Frankfurt a. M. an die Römisch-Germanische Kommission ebendort, wo er als wissenschaftlicher Volontär mit schwierigen Redaktionsarbeiten betraut war. Nur wenige Monate danach wechselte er in den von Aufbruchstimmung geprägten Archäologischen Park in Xanten, wo ihm unter Gundolf Precht die wissenschaftliche Grabungsleitung oblag.

Doch Xanten sollte nur ein Sprungbrett sein. Schon 1978 holte ihn der Landschaftsverband Westfalen-Lippe an das Westfälische Museum für Archäologie in Münster. Für seine neuen Aufgaben brachte er die besten Voraussetzungen vom Niederrhein mit. Als Leiter des späteren Fachreferates Provinzialrömische Archäologie war er zukünftig verantwortlich für die archäologische Erforschung der römischen Lager an der Lippe, Dorsten-Holsterhausen, Haltern, Bergkamen-Oberaden, Beckinghausen und Anreppen. Diese Gelegenheit nutzte er, um Meilensteine in der Provinzialrömischen Archäologie zu setzen – Meilensteine für die Geschichte der augusteischen Okkupation, des augusteischen Militärs und des augusteischen Siedlungswesens. Er trat damit die Nachfolge des an die Römisch-Germanische Kommission Frankfurt a. M. berufenen von Siegmar von Schnurbein an, dessen wissenschaftliche Arbeit zuvor in Haltern große Maßstäbe hinterlassen hat. Nüchterne Daten und Fakten aus dem beruflichen Wirkungsfeld von Herrn Kühlborn sollen hier nicht den Blick auf das Wesentliche verstellen. Stattdessen soll versucht werden, mit einer Gesamtperspektive die Highlights seiner Amtszeit zu würdigen.

Mit großem Einsatz nutzte Johann-Sebastian Kühlborn die wirtschaftlich glücklichen 80er und 90er Jahre zur Umsetzung neuer Dimensionen in der Feldforschung. Er konnte das eigene Haus in Münster, die Städte und Vereine vor Ort und insbesondere die zuständigen Arbeitsämter überzeugen und mobilisieren, über Jahre, ja sogar Jahrzehnte hinweg arbeits-, personal- und kostenintensive Großgrabungen zu organisieren und zu finanzieren. Mit dem ihm eigenen Elan und seiner zielstrebigen Hartnäckigkeit setzte Johann-Sebastian Kühlborn so für die Provinzialrömische Archäologie in Westfalen völlig neue, bis dahin unbekannte Maßstäbe. Dass er dabei immer auf eine gute Zusammenarbeit mit den Kommunen und Vereinen bedacht war, war für ihn ebenso eine Selbstverständlichkeit wie die grabungstechnische und wissenschaftliche Gründlichkeit, mit der Methodik und Zielsetzung moderner Siedlungsgrabungen in den oft schwierigen Sand- und Lehmböden in Haltern, Anreppen und Oberaden umgesetzt wurden. Seit 1984 unterstützten ihn am Fachreferat angestellte wissenschaftliche Volontäre beim Innen- und Außendienst, vor allem bei den neben den Großgrabungen anfallenden Baustellenbeobachtungen.

Nicht nur die Feldforschung, sondern auch die junge, heranwachsende Archäologengeneration durfte von seiner Schaffenskraft profitieren. Für viele Jahre ging er neben seinen Amtsgeschäften einer Lehrtätigkeit am Seminar für Klassische Archäologie der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster nach. Trotz oder gerade wegen der großen Entfernung zu den etablierten Universitätsinstituten der Provinzialrömischen Archäologie in Köln, Frankfurt, Freiburg und München
hat Johann-Sebastian Kühlborn die Erforschung der Funde aus den Lippelagern stets gefordert und gefördert. Dem wissenschaftlichen Nachwuchs überließ er dankbar die verdienstvolle Mühe, die Masse der römischen Funde aus Metall, Glas oder Keramik selbständig und methodisch als nüchternes Quellenmaterial zu bearbeiten. Das ist an der nicht unbeträchtlichen Anzahl der Publikationen abzulesen, die in der Reihe der Bodenaltertümer Westfalens im vergleichsweise kleinen provinzialrömischen Referat entstanden. Wie schon die Altvorderen, allen voran Friedrich Koepp, so legte und legt auch Johann-Sebastian Kühlborn wert auf die Dokumentation, Auswertung und Veröffentlichung der Befunde und Funde aus den Lippelagern. Für die Forschung macht er damit herausragende Fundkomplexe zugänglich. An eigenen Veröffentlichungen sei hier nur auf die große Publikation „Das Römerlager in Oberaden III“ von 1992 und auf zahlreiche Aufsätze zu den Militärlagern an der Lippe allgemein verwiesen. Anlässlich des 16. Internationalen Limeskongresses 1995 erschien das kleine Standartwerk „Germaniam Pacavi - Germanien habe ich befriedet“. Es fasste den gesamten Wissensstand zur augusteischen Okkupation zwischen Niederrhein und Wiehengebirge in prägnanter, wissenschaftlicher Weise zusammen und war wegen seiner Qualität rasch vergriffen.

Wer als junger Student oder Volontär am regen Leben im Fachreferat teilhatte, der merkte bald, dass er dort nicht nur fachlich, sondern auch menschlich bestens aufgehoben war. Der Führungsstil von Johann-Sebastian Kühlborn war durch seine humanistische Bildung geprägt, die sich ausdrückt in einem ausgeglichenen Wesen, einem feinen, aber auch hintersinnigen Humor und in einem maßvollen, aber unmissverständlichen Kritikverhalten. Dies erzeugte im Referat ein Klima, dass durch Verständnis, Toleranz und Offenheit gekennzeichnet war. Selbst harte Wahrheiten wurden dadurch in menschlich akzeptabler Form vermittelt. Es war und ist Johann-Sebastian Kühlborn immer ein Anliegen gewesen, sich um die junge Archäologenschar zu kümmern, deren Jahre nach dem abgeschlossenen Studium oft während langer Zeit durch eine unsichere berufliche Existenz geprägt ist. Es ist wohl auch sein starker Familiensinn, der sich hier zu erkennen gibt.

Die Höhen und Tiefen seiner Laufbahn hat er nicht nur als Referatsleiter meisterhaft überwunden, sondern auch als Luftbildarchäologe im wahrsten Sinne des Wortes miterlebt. Buchstäblich im Fluge baute er eine umfangreiche Luftbilddatenbank für Westfalen auf, wofür er zum Leidwesen seiner Familie unzählige Wochenenden opferte. Weitere sichtbare Erträge seines Schaffens finden wir in den im Entstehen begriffenen Archäologischen Parks in Oberaden und Anreppen, die heute ebenso von Aufbruchstimmung geprägt sind wie der Archäologische Park in Xanten es war.

Lieber Herr Kühlborn,

nun, da Sie ihre offizielle Amtszeit beendet haben, hoffen wir, dass Sie genügend Zeit und Muße finden werden, um ihre geplanten und wegen der Arbeitsbelastung immer wieder zurückgestellten Forschungsarbeiten mit größter Intensität verfolgen zu können und dass Sie mit der Verbindung von westfälischen Grabungsbefunden, antiken Schriftquellen und den Erkenntnissen zu mediterraner Bautechnik eine Publikation zu den Militärlagern Anreppen und Oberaden schaffen, mit der sie der Erforschung der Lippelager ein bedeutendes Denkmal setzen werden.
Denn im Gegensatz zu vielen anderen Pensionären finden wir sie nicht am Ende ihres fachlichen Weges und am Anfang eines Ruhestandes. Im Gegenteil, wir sehen noch immer einen aktiven und engagierten Archäologen, der mit Rat und Tat die Provinzialrömische Archäologie in Westfalen unterstützt. Diese Provinzialrömische Archäologie haben sie in Westfalen vom kleinen Orchideenfach zu einem eigenständigen Referat geführt, dass Ihre Handschrift trägt und sich selbstbewusst neben Paläontologie und Paläolithikum, Vorgeschichte bis Neuzeit, Kreisarchäologie und Kommission präsentieren kann.

Ganz besonders danken möchten wir Ihnen für die Bereitschaft, dass wir uns nicht nur zu ihrer Dienstzeit, sondern jetzt auch in ihrem Privatleben mit unseren Sorgen an Sie richten dürfen. Ich hoffe, dass dieses Band nie zerschnitten wird, das Sie über die Jahre geknüpft haben zwischen uns – ihren Mitarbeitern –, den Museen und der Bodendenkmalpflege, den Kommunen und Vereinen.

Dr. Bettina Tremmel

Quelle: Webseite des Vereins für Altertumskunde und Heimatpflege Haltern e.V.